Rezension Orbis Incognita
03 Mai 2009

Der Autor

Wenn ich nicht gerade spiele verunstalte ich Medien. Kommt einem zu Gute bei eigenen Rollenspielen wie Malmsturm oder Projekten wie Ratten!, Savage Worlds Gentlemens Edition, Scion, Sundered Skies und ein paar anderen. An und für sich bin ich der Erzählonkel, daher auch die große liebe zu FATE. Manchmal muss es aber auch ein Burger statt Steak sein und so wird gern und oft auch Savage Worlds oder wenn es klasisch sein soll Pathfinder und Konsorten gespielt. Ich probier gern und oft Systeme aus aber die eigentliche Leidenschaft sind die Hintergrundwelten.

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Orbis Incognita – falsches Latein, echter Spaß!

Rollenspiele im Renaissance Setting sind zwar nichts neues, aber dennoch mal eine nette Abwechslung zu der üblichen Fantasyroutine. Historiker Niels Bengner hat mit viel Herzblut und Hintergrundwissen ein Spiel geschrieben, dass eine Nische irgendwo zwischen 7te See und Scheibenwelt füllt.

Spielwelt
Die Spielwelt ist wie bei den meisten Rollenspielen sehr stark an die reale Welt angelehnt. Albion entspricht Großbritannien, Bourbon gleicht Frankreich, Soldale hat die Form eines Stiefels und im nördlichen Gomdland wohnen die Wikinger. Nationale Stereotypen wurden ebenfalls  liebevoll erhalten, was den Zugang zur Welt sehr erleichtert. Außerdem muss man sich nicht durch eine Million verschiedener Rassen kämpfen, um die richtige Wahl für den eigenen Spielercharakter zu treffen. Im Prinzip kommen nur die üblichen Verdächtigen in Frage: Menschen, Elfen, Zwerge und Trolle. Orks und Goblins sucht man sogar gänzlich vergebens. Insgesamt ist Orbis Incognita damit näher an Terry Pratchett als an Tolkien. Erfreulicherweise orientiert sich das Bestiarium weitgehend an der europäischen Mythologie der Epoche. Antike Kentauren und Zyklopen laufen herum, ansonsten ist man sehr gut damit beschäftigt sich Klabautermänner, Vampire und Seeungeheuer, Lindwürmer oder Wurzelgnome vom Leib zu halten. Erfolgreich wurde der Versuchung widerstanden, die Stimmigkeit der Welt durch zwanghaftes Einfügen möglichst vieler Monster zu zerstören. Der Hauptunterschied zwischen der realen Renaissance und der bei Orbis Incognita ist, dass der mittelalterliche Aberglaube durch das Aufblühen der Wissenschaft nicht als solcher entlarvt, sondern durch die Forschung belegt wird. Expeditionen und astronomische Beobachtungen weisen darauf hin, dass die Welt eine Scheibe ist, Magie wird als wissenschaftliche Disziplin an Universitäten gelehrt und Drachen wurden nach langer Verfolgung im Rahmen eines Friedensabkommens in den Rang von Baronen erhoben. Man darf gespannt sein wie hier erst die Aufklärung aussehen wird. Das höfische Intrigenspiel, welches ein ganzes Kapitel des Regelwerkes einnimmt, stellt ebenfalls einen bedeutenden Teil der Welt dar. Entsprechend gibt es keine klaren Gesinnungen, die eine Einteilung in „die Guten“ und „die Bösen“ erlauben.  Engel dürfen nicht mit Teufeln zusammenarbeiten, abgesehen davon herrscht jedoch mehr oder weniger freie Bündniswahl. Die möglichen Pakte verheißen somit hochinteressante Kombinationen.

Regeln
Beim Spielen fühlt sich das System vertraut an, etwa wie eine Mischung aus AD&D2 und dem alten Warhammer FRP. Proben werden mit W20 abgelegt, für Schaden und dergleichen benötigt man meist W6. Durch karrierebasierte Charaktererschaffung hat man eine Menge Berufe zur Auswahl, zumal der familiäre Hintergrund ebenfalls wichtig ist. Der Beruf der Eltern gibt zusätzliche Fähigkeiten für den Charakter und mehr Kombinationen für den Spieler. Es gibt mit dem „Zerstörer“ sogar eine Charakterklasse, die explizit für Powergamer ausgeschrieben ist. Nachdem man die passende Klasse gewählt hat, kommt der unangenehme Teil. Bengner ist als Militärhistoriker auch um eine detailreiche Abbildung der Wirklichkeit im Kampfsystem bemüht. Über große Strecken funktioniert das super, etwa wenn verschiedene Angriffsarten statt des einfachen Draufhauens angeboten werden. Wie man allerdings seinen Panzerungswert berechnet „Wert X (Fläche + X PW Y)“ erschließt sich mir nicht. Muss man dann noch Quadratwurzeln ziehen, um die Sprengwirkung einer Bombe herauszufinden wird es wirklich unpraktisch. Zum Glück sind die Basisregeln für Minimalisten wie mich auf den ersten 15 Seiten ohne Formeln zusammengefasst. Auch wenn das Skelett der Regeln nicht perfekt ist, so hat es doch sehr schmackhaftes Fleisch auf den Knochen. Stimmungsvoll wird über Zusatzregeln klar gemacht, was es für den Charakter bedeutet seinen Alltag auf Orbis Incognita zu fristen. Pornographische Pamphlete etwa haben einen Verkaufswert von 1 Taler bei Erwachsenen, bei Klerikern der erzkonservativen Sonnenkirche hingegen das Zehnfache. Der Nutzen solcher Regeln ist sicherlich Geschmackssache, allerdings machen sie die Lektüre des Regelwerkes deutlich unterhaltsamer. Nützlich hingegen sind die reichhaltigen Listen mit Ausrüstung und Zaubern. Da Kampagnen am Fürstenhof erwartet werden, enthält gerade ersteres deutlich mehr als die Habseeligkeiten, mit denen Helden üblicherweise durch die Welt reisen. Ein Erfahrener Charakter kann sich also durchaus am „Listenpreis“ für ein komplettes Alchemielabor orientieren. Das Kapitel über Intrigen und Vertuschen von Verbrechen sorgt dafür, dass eine Kampagne auch ohne Kampf spannend bleibt. Auch die Zahl der Krankheiten, die sich Charaktere einfangen können ist beträchtlich. Das Kapitel für Spielleiter richtet sich deutlich an Fortgeschrittene. Solche erhalten dort aber durchaus nützliche Tipps für  Aufbau spannender Abenteuer. Eine Besonderheit des Regelwerkes sind die Motivationspunkte. Diese funktionieren ähnlich wie Karma bei Shadowrun, können also zum permanenten verbessern von Fähigkeiten eingesetzt, aber auch in akuten Notsituationen ausgegeben werden. Erlangt wird Motivation allerdings nicht nur durch Heldentaten, sondern vor Allem durch Dinge, die dem Charakter Spaß machen. Ein rauschender Maskenball oder eine Nacht mit der Maitresse  sind nun also auch für Powergamer interessant – immerhin kann man so die fehlenden Punkte für den Aufstieg sammeln.

Aufmachung
Orbis Incognita kommt als 254 Seiten starkes Paperback mit 80 Illustrationen daher. Für schlappe 20 Euro erhält man also einiges an Umfang. Wer erstmal testspielen will, kann vorher kostenlos das Grundregelwerk ohne Bilder herunterladen.

Fazit
Orbis Incognita ist humorvoll geschrieben, aber auch für ernste oder düstere Kampagnen gut geeignet. Wer mehr will als Gemetzel ist mit dem ausgefeilten Statussystem gut bedient, und wer ein bisschen Rechnerei nicht scheut, wird mit dem Kampfsystem ebenfalls glücklich. Inhaltlich findet man ein Setting, dass noch nicht 1000 mal gemacht wurde und in einer schlüssigen Welt präsentiert wird. Mein Lateinlehrer hat zwar gemeckert, dass das es eigentlich Orbis Incognitus heißen müsste, ansonsten jedoch sei ein Testspiel jedem ans Herz gelegt, der sich für die Zukunft einer klassischen Fantasywelt interessiert.

Titel: Orbis Incognita – Das Regelwerk
Art: Grundregelwerk
Regeln: Orbis Incognita
Verlag: Eigenverlag
Publikationsjahr: 2007
Autor: Niels Bengner
Illustrationen: Gloria H. Manderfeld
Umfang: Seiten: 254
Bindung:  Klebebindung
Preis: EUR 20

Rezensent: Simon Knox
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1 Comment
1 Kommentare
  1. Klingt sehr interessant, muß ich unbedingt mal antesten. Ich bin immer auf der Suche nach was neuem und Orbis Incognita scheint ja mal etwas anderes zu sein. Ist auch eine schöne Rezension, so wünsche ich mir das auch von anderen. 😉

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