Rezension: Nocturnum 3
18 Apr 2010

Der Autor

Wenn ich nicht gerade spiele verunstalte ich Medien. Kommt einem zu Gute bei eigenen Rollenspielen wie Malmsturm oder Projekten wie Ratten!, Savage Worlds Gentlemens Edition, Scion, Sundered Skies und ein paar anderen. An und für sich bin ich der Erzählonkel, daher auch die große liebe zu FATE. Manchmal muss es aber auch ein Burger statt Steak sein und so wird gern und oft auch Savage Worlds oder wenn es klasisch sein soll Pathfinder und Konsorten gespielt. Ich probier gern und oft Systeme aus aber die eigentliche Leidenschaft sind die Hintergrundwelten.

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Cthulhu Now Kampagne

Im Anschluss an meine Rezension der ersten beiden Teile der Nocturnum-Kampagne für Cthulhu Now folgt hier nun die Besprechung des abschließenden dritten Teils Letzte Tage. Den älteren Text (oder die ersten beiden Abenteuer) zu kennen, ist für das Verständnis sicher hilfreich, und auch die Spoilerwarnung für angehende Spieler bleibt bestehen, obwohl es diesmal weniger um konkrete Inhalte gehen soll.

Also, wo waren wir stehengeblieben? Beim Weltuntergang, oder zumindest kurz davor: Die Spieler haben bereits im letzten Teil der Kampagne Einblick in Akteure und Inhalte der Verschwörung gewonnen und ihre Charaktere einige Zusammenstöße mit Mythoswesen verschiedenster Art überstanden. Jetzt, wo das Ende in Sichtweite ist, heißt es, die Verbündeten zu sortieren und langsam in die Offensive zu gehen.

Die Charaktere reisen weiterhin recht viel in der Welt herum und nähern sich dabei stetig zunächst dem Tyrr Nemaii (der Maschine, die den Kometen in Richtung Erde zieht) und danach dem Aufschlagpunkt in der Wüste Gobi, wo sie den Untergang der Erde in allerletzter Sekunde noch verhindern könnten. Auf die einzelnen Stationen dieser Reise soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden; wichtiger ist, dass die Route fest steht und ein Abweichen mit größerem Aufwand verbunden wäre. Auch wenn das in den ersten beiden Teilen nicht anders war, fällt es hier noch stärker ins Auge, da die Spielercharaktere innerhalb der Erzählung inzwischen von allen Seiten als Aktivposten gehandelt werden, während sie auf formaler Ebene weiterhin mit stark eingeschränkten Mitspracherecht herum gescheucht werden.

In diesem Sinne entspricht Letzte Tage formal den anderen Teilen: Der Band enthält mehrere Abenteuer und Szenarien, die in lineare Abfolge zu spielen sind. Begleitet von klar abgegrenzten Erzähltexten werden die Abenteuerinhalte einigermaßen nüchtern beschrieben, während Karten, Handouts in Spielwerte in die jeweiligen Anhänge verbannt wurden. Auf diese – für Cthulhu nicht ungewöhnliche – Weise ist das Material einerseits übersichtlich aufbereitet und erfordert andererseits dennoch gründliche Vorbereitungen von Seiten des Spielleiters. Die langen Texte verführen zum bevormundenden Nacherzählen, während Spielleitertipps, Problemlösungen oder alternativen Ideen in Nocturnum leider Mangelware sind.

Qualität und Umfang der Abenteuer schwanken, wobei gerade letzterer bisweilen fragwürdig genutzt wurde. So wird beispielsweise die Hintergrundgeschichte eines Abenteuers über mehrere Seiten ausgeführt, ohne dass sie irgendeine Spielrelevanz hätte, während an anderer Stelle zwar erwähnt wird, wie die nächsten Szenen ungefähr wirken sollen, der Spielleiter aber allein mit dem Wie? zurück bleibt. Dabei hätten einige spannende Fragen im Grunde auf der Hand gelegen: Wie lassen sich langfristige Verfolger der Spielercharaktere als ständiges Druckmittel einsetzen, ohne einfach nur regelmäßig als Diabolus ex machina aus dem Hut zu hüpfen? Oder: Wie ist bei laufendem Countdown mit falschen Fährten umzugehen, auf denen die Spieler absolut sicher am anvisierten Finale vorbei laufen?

Bevor aber ein falscher Eindruck entsteht: Mit gründlicher Vorbereitung oder einem überdurchschnittlichem Talent zur Improvisation kann Nocturnum zu einer wirklich großartigen Kampagne werden, was vor allem an diesem dritten Band liegt. Der finale Konflikt folgt schlüssig aus dem Kampagnenverlauf, es sind verschiedene Enden beschrieben und die Frage nach Erfolg und Misserfolg liegt tatsächlich zum größten Teil in den Händen der Spieler.

Insgasamt bleibt Nocturnum eine spannede Verschwörungsgeschichte mit überraschenden Wendungen und einer enormen atmosphärischen Dichte. Der anfänglich beschriebene Plot entfaltet sich in Bruchstücken und lässt die rekonstruierenden Spieler an den Ermittlungen ihrer Charaktere teilhaben, während diese an interessanten Settings um ihr Leben zittern. Die Schwächen der Kampagne sind vorwiegend struktureller Natur und stellen für geübte Spielleiter kein unüberwindbares Hindernis dar, auch wenn sie ärgerlich bleiben. Als Steinbruch taugt Nocturnum allemal und wer eine schön konstruierte Geschichte auf Kosten erzählerischer Freiheit in Kauf nehmen mag, kann sich auf einige lange Spielabende freuen.

Besonders positiv fällt auf, dass die Besonderheiten des Now-Settings zum Ende der Kampagne deutlicher zu Tage treten. Hätten die größtenteils entlegenen Wildnisschauplätze der ersten beiden Teile in den 20ern vermutlich kaum anders ausgesehen, haben wir es im Machtbereich des TemCo-Konzerns ganz eindeutig mit der globalisierten Gegenwart zu tun. Das Setting mag immer noch exotisch daher kommen, für TemCo ist es Mittel zum Zweck – zum Ende sogar wortwörtlich als Aufschlagpunkt des hauseigenen Kometen. Mit diesem Teil wird deutlich, wie die Autoren der Kamapgne Cthulhu Now begreifen und auch, warum die Kampagne gerade nicht im anonymen Großstadtdschungel oder im Internet spielt:

Nocturnum ist die Konvertierung klassischer Mythosthemen und -formen in die Gegenwart und kein Versuch, Idee und Spiel in die post-postmoderne Hipness zu überführen. So ergibt plötzlich auch das erstaunliche vielförmige Auftreten des populären Mythos-Who-is-Who Sinn, das im Verlauf der Kampagne fast schon ein wenig zu viel des Guten war. Was die Charaktere nicht begreifen können, ist für die Spieler mit entsprechendem Wissen hochgradig unterhaltsam.

Und für genau diese wurde Nocturnum auch geschrieben: Für fortgeschrittene Spielleiter und für Spieler, die mit Figuren wie Dagon oder Nyarlathotep etwas anfangen können und sich nicht daran stören, wenn ihre Charaktere nicht einmal die leiseste Chance darauf haben, ihre (Meta-)Erkenntnisse zu teilen.

Wer sich zu diesen zählt, wird die Begeisterung möglicherweise teilen, mit der Cthulhu-Chefredakteur Frank Heller Nocturnum als „das Beste, was bisher für Cthulhu Now erschienen ist“ ankündigt hat. Es soll allerdings nicht vergessen werden, woran sich auch alle anderen erfreuen werden: An einem ausgesprochen übersichtlich strukturierten Text, einem sauberen Layout, großartigen Handouts und Karten und nicht zuletzt einer phantastischen Geschichte, die ihre tatsächlichen Stärken erst mit dem Finale offenbart hat.

Titel: Nocturnum Bd. 3: Letzte Tage
Art: Rollenspiel-Kampagnenband
Regeln: Cthulhu Now
Sprache: Deutsch
Verlag: Pegasus Spiele
Publikationsjahr: 2010
Autor: Darrell Hardy
Übersetzer: Michael Weh
Illustrationen: Toren Atkinson, Andy Brase, Michael Clarke, Ear Geier, Bill Heagy, Hive, Eric Lofgren, Brad McDevitt, Brian Schomburg, Christopher Shy, Tyler Walpole, Kenneth Waters
Coverdesign: Manfred Escher
Umfang: 112 Seiten
Bindung: Hardcover
Preis: 24,95 €
Rezensent: Jan-Paul Koopmann

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