Art: Spielhilfe
Regelwerk: Mutants & Masterminds, 3rd Edition
Sprache: Englisch
Verlag: Green Ronin Publishing
Publikationsjahr: 2012
Autor: Steve Kenson
Illustrator: Steve Conley
Umfang: PDF, jeweils 6 Seiten
Bindung: digital
Preis: ca. 80 Cent je PDF
Rezensent: Olaf „Argamae“ Buddenberg
Bei den Power Profiles handelt es sich um Spielhilfen für die 3. Edition des Superhelden-Rollenspiel Mutants & Masterminds von Green Ronin Publishing. Um dem Leser den Einstieg in diese Rezi zu erleichtern, muss ich etwas ausholen und ein paar generelle Anmerkungen zum Spielsystem machen.
In Mutants & Masterminds bedient man sich zur Gestaltung seiner Superkräfte eines effektbasierten Baukastensystems – unterteilt in die Effektarten „Angriff“, „Verteidigung“, „Kontrolle“, „Bewegung“, „Sinneswahrnehmung“ und „Allgemein“. Man hat also z.B. einen Angriffseffekt namens Damage (Schaden). Um damit einen „Feuerstrahl“ zu definieren, den man sich für seinen Helden vorstellt, muss man einen oder mehrere power descriptors (beschreibende Schlagwörter oder Deskriptoren) sowie Modifikatoren hinzufügen. Im diesem Falle also den Deskriptor „Feuer“ und den Modifikator Ranged (auf Entfernung), wenn man den Feuerstrahl als Fernkampfangriff nutzen möchte.
Deskriptoren in M&M sind eine entscheidende Möglichkeit, grundlegende Elemente und Zusammenhänge für seine Spielwelt zu entwickeln. Sie sollten nicht zu speziell sein, damit sie möglichst universell im gemeinsamen Setting Verwendung finden können, gleichzeitig aber auch nicht zu allgemein, um Charakteren Differenzierungsmöglichkeiten zu erlauben – versinnbildlichen viele Deskriptoren doch auch das zentrale „Thema“ eines Helden. Zusätzlich können dem Deskriptor selbst noch einige kleine Spielvorteile (feature effects) gewährt werden, die jeder Held besitzt, der entsprechende Kräfte des Deskriptors aufweist. So könnte ein Held mit Feuer-Kräften beispielsweise eine kleine Flamme nach Belieben erzeugen oder pyrotechnische Effekte zur Belustigung simulieren.
Durch diese Herangehensweise ist das Power-System von M&M äußerst flexibel, bringt jedoch auch etwas Arbeit mit sich und erfordert Kreativität. Und um dem Spieler diese Arbeit zu erleichtern und seine Kreativität zu stimulieren, wurden die „Power Profiles“ ins Leben gerufen. Diese enthalten vordefinierte, typische Kräfte eines bestimmten Themas, wie sie in vielen Superhelden-Universen vorkommen, und besprechen die möglichen Deskriptoren und einzelnen Effektarten sowie Möglichkeiten und Komplikationen, die man mit dem Thema hat. Man kann sie also wie eine Bedienungsanleitung verstehen oder als Ideensammlung – sie fügen keine neuen Regeln hinzu, sondern zeigen nur auf, was man mit den im M&M Hero’s Handbook vorhandenen Effekten umsetzen kann. Mittlerweile gibt es 31 Power Profiles und nahezu wöchentlich kommen neue hinzu, die dann als PDF-Download auf der Webseite des Spielsystems angeboten werden. Die beiden aktuellen werde ich in dieser Rezension behandeln.
Im Power Profile #30 dreht sich alles um Life Powers, also Kräfte, die das Leben als solches beeinflussen können. Ein schönes Konzept für Superhelden, das jedoch auch ins Gegenteil verkehrt werden kann – etwa für einen Superschurken, der z.B. die lebensentziehenden Kräfte des apokalyptischen Reiters Tod entfesseln oder Untote erschaffen kann. Es wird informiert auf 6 typische Deskriptoren für Life Powers eingegangen und der eine oder andere feine Unterschied herausgearbeitet, der eventuell eine Rolle im Kontext der Regeln spielt. Während die feature effects einige annehmliche Dinge beschreiben, wie etwa das einfache Stabilisieren einer im Sterben liegenden Person durch Handauflegen (im Gegensatz zur Würfelprobe), wird es bei der Betrachtung möglicher offensiver Kräfte der Kategorie „Leben“ schon unangenehm. Fähigkeiten wie etwa das Fleisch eines organischen Lebewesens formen zu können oder durch Berührung Pathogene in den Körper zu schleusen, sind schon ziemlich ekelig. Dafür, dass ich bei dem Thema hauptsächlich den beschützenden, regenerierenden und heilenden Einsatzmittelpunkt erwartet habe, ist doch viel Offensives drin. 5 der 6 offensiven Life Powers arbeiten mit dem spieltechnischen Effekt Affliction, der im Deutschen nur unzureichend mit einem Wort wiedergegeben werden kann. Gemeint ist damit jegliche Art von „Befall“, der zu teilweisen oder vollständigen Einschränkungen beim Opfer führt (z.B. Ohnmacht, Unbeweglichkeit, Fremdkontrolle oder Tod). Einzig die Beschreibungen und zusätzlichen Modifikatoren formen aus dem generischen Effekt die spezielle Superkraft – etwa „Bio-Eingriff“ oder „Anfall“.
Trotzdem findet man natürlich auch viele andere Ideen für Kräfte, wobei mir viele „kleine“ und auf den ersten Blick eher unscheinbare Anwendungen gefallen haben – etwa Pharmacopeia, womit man die Wirkung von Medikamenten im Körper eines Kranken simulieren kann. Insgesamt arbeiten die meisten hier vorgestellten Life Powers wenig überraschend mit den Effekten Immunity und Healing.
Die abschließende Besprechung der Complications – die Nachteile eines Helden – finde ich ebenfalls gelungen, da hier u.a. auf die Problematik der Verantwortung eingegangen wird. Manche Helden mit solchen Kräften könnten sich dazu berufen fühlen, anderen ohne deren Einwilligung zu helfen – aber inwieweit gelten sie als praktizierende Ärzte? Müssen sie, falls das gesetzlich zugelassen wird, dann auch den hippokratischen Eid ablegen? Welche gesellschaftlichen Probleme könnten sich für den Charakter ergeben, wenn die Welt weiß, dass er übermenschliche Heilungskräfte hat? Oder was ist mit der Abhängigkeitsgefahr, wenn man die Wirkungen von Medikamenten im eigenen Körper simulieren kann? Interessanter Stoff für die Charakterausgestaltung.
Im Power Profile #31 kommt eine der in der Realität gefürchtete und in Comics immer wieder gern verwendete Kraft unter die Lupe: die Strahlung. Radiation Powers sind ein sehr weites Feld, hier wird primär auf die Mutation und die elektromagnetischen Energien von Alpha-, Beta- und Gammastrahlung sowie auf Mikrowellen und Röntgenstrahlen eingegangen. Das Thema wird hier natürlich aus dem Blickwinkel der Comic-Realität betrachtet, wo Strahlung gleich welchen Typs in der Regel leuchtet und radioaktive Substanzen eher Superkräfte als Krebs entstehen lassen. Nichts desto trotz kann der Spielleiter das in M&M aber auch realistischer handhaben.
Zu den feature effects zählen hier Dinge wie das Erwärmen von Objekten durch kurzzeitige Mikrowellenbestrahlung oder das Leuchten lassen von Körperteilen. Was die beschriebenen Superkräfte angeht, so findet man dort wie erwartet viele offensive Kräfte wie Radiation Blast, Blinding Radiance oder Radioactive Aura (die alle hauptsächlich mit den Effekten Affliction und Damage arbeiten). Doch unter der Kategorie „Nützliche Kräfte“ finde ich die interessanteren, da untypischeren Anwendungen, wie etwa Carbon Dating (Kohlenstoffdatierung), das mit dem Effekt Sense sowie den Parametern/Modifikatoren „Alter“ und „scharfsinnig“ gebaut wurde. Auch nützlich: Radar, Static Field (Feldrauschen) oder Radio Hearing (Funkempfang) – ebenso wie der Klassiker „Röntgenblick“.
Wie in jedem Power Profile wird abschließend auch auf die für „strahlende“ Helden möglichen Komplikationen eingegangen, die ihr Leben problematisch machen können. Und die Liste ist lang: von Vorurteilen als wandelnde Umweltgefährdung über Phobien vor der eigenen Macht bis hin zur Unfähigkeit, normalen Umgang mit anderen Menschen zu pflegen, weil die konstant ausgehende Hintergrundstahlung über lange Zeit ein Krebsrisiko für die Umwelt birgt. Das könnte dazu führen, dass der Held entweder von selbst oder durch gesetzlichen Zwang permanent einen Schutzanzug tragen muss oder in bestimmte Gebäude nicht hinein darf. Ein Held mit Strahlungskräften ist eine perfekte Leinwand für tragische Hintergrundelemente wie z.B. Entfremdung.
FAZIT
Die Power Profiles sind wirklich nützlich und geben gute Fingerzeige, wie man das eigene kreative Potenzial anzapfen und mit dem Baukastensystem von M&M umsetzen kann. Obwohl man viele coole Ideen bekommt, sind natürlich nicht alle vorgestellten Kräfte eines Themas sonderlich originell – erfahrene Superheldenrollenspieler dürften einiges davon auch selbst umsetzen können. Trotzdem bieten sie wenigstens eine gute Basis, um darauf aufzubauen. Und genau das will das Konzept meiner Meinung nach langfristig auch erzielen – das man seine eigenen Ideen umsetzt und nur einen Schubs in die richtige Richtung bekommt. Und noch etwa anderes bewirken die Power Profiles: sie erweitern das Verständnis vom und die Orientierung im Spielsystem von M&M. Ich jedenfalls möchte sie nicht missen. Für gerade mal 80 Cent kann man sich so einen Download gut leisten, gerade wenn man bereits ein Konzept für seinen Superhelden hat und nur noch Anregungen braucht, seine Superkräfte zu definieren.