Opus Anima Rezension
08 Jan 2009

Der Autor

Wenn ich nicht gerade spiele verunstalte ich Medien. Kommt einem zu Gute bei eigenen Rollenspielen wie Malmsturm oder Projekten wie Ratten!, Savage Worlds Gentlemens Edition, Scion, Sundered Skies und ein paar anderen. An und für sich bin ich der Erzählonkel, daher auch die große liebe zu FATE. Manchmal muss es aber auch ein Burger statt Steak sein und so wird gern und oft auch Savage Worlds oder wenn es klasisch sein soll Pathfinder und Konsorten gespielt. Ich probier gern und oft Systeme aus aber die eigentliche Leidenschaft sind die Hintergrundwelten.

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Das Rollenspiel um grotesken Horror

Initial L

ange musste man auf „Opus Anima“ warten. Jahrelang wurde es im Internet entwickelt, durchlief mehrere Inkarnationen an Regeln und Namen. Zur Spielemesse 2008 in Essen erschien dann endlich das 400 Seiten schwere Hardcover-Regelwerk.

Die Supporter auf der „Spiel“ redeten sich den Mund fusselig, doch hauptsächlicher Kaufgrund waren nicht ihre begeisterten Erklärungen sondern die atemberaubende Optik. Felix Mertikat hat großartige Zeichnungen und Karten angefertigt und organisch in das Textbild eingearbeitet. Bei den Karten leidet dadurch etwas die Übersichtlichkeit, aber das nimmt man gern in Kauf, denn das Ergebnis außerordentlich stimmungsvoll und macht Lust, mehr über das Spiel zu erfahren.

Kleinigkeiten gibt es aber natürlich doch zu meckern, der Sinn der unpassenden Kästchen um viele der Seitenzahlen ist mir beispielsweise ein Rätsel. Schwerer wiegt allerdings, dass Mertikat im mittleren Teil des Buches – „die verzerrte Welt“ – mit der optischen Anpassung zwischen Text und Bild etwas übertrieben hat – „verzerrt“ ist nämlich auch das Textbild. Da werden kursiv gesetzte Buchstaben zusammen mit hoch- oder tiefgestellten Zeichen in eine Zeile gesetzt; die Buchstabengröße ändert sich manchmal mitten im Wort. Das sieht zugegebenermaßen großartig aus, stört aber schnell beim Lesen.

„Opus Anima“ spielt auf einer fremdartigen victorianischen Steampunkwelt. Der Planet Kurip-Aleph wurde in einem Krieg zerstört und in einzelne Schollen zersprengt, die im Ether treibend von einem künstlichen Stahlgerüst zusammengehalten werden. Fünf Spezies leben auf den Schollen, z. B. eine Kreuzung zwischen Mensch und Alien und eine für die Arbeit gezüchtete Rasse. Die Dampfmaschine beherrscht fast die gesamte Technik; es gibt sogar künstliche ebenfalls dampfbetriebene Gliedmaße und Roboterwesen, die von sich selbst behaupten, eigenständige Wesen zu sein. Schelfberg, ein von Universitäten und Gelehrten beherrschter Staat, wird im Detail beschrieben, für all die anderen Länder der Schollen (u. a. ist das Stahlgerüst mit den darin lebenden Arbeitern ein eigener Staat) gibt es schöne Zusammenfassung.

Obwohl der Science-Fiction-Einstieg etwas stört (Wo kommt der Ether her und wieso sind die Bruchkannten der Schollen so gerade?), gefällt mir die Welt außerordentlich gut. Abenteuer und Intrigen gibt es zu Hauf; überall trifft man auf victorianische Etikette. An diesem Punkt des Regelwerks ist auch der Einstieg noch recht einfach, denn „Steampunk mit Alien-Rassen“ versteht jeder, der mit den Wörtern etwas anfangen kann. Aber noch gibt es keinen „grotesken Horror“.

Dieser kommt in Form von Seelenräubern. Sie entreißen den Schollenbewohnern Teile der Seele, wodurch der Rest zersplittert und in alle Winde verstreut wird. Manche der beraubten und somit toten Wesen, bekommen von götterartigen Wesen, den so genannten „Zeitlosen“, genug Energie geschenkt, um weiterleben zu können. Leider „erben“ diese Seelenlosen aber auch schreckliche Makel der Zeitlosen. Die „Ausgeweideten“ erleiden beispielsweise jeden Tag schrecklichen Hunger, weil sie Nahrung ohne Eingeweide nicht verdauen können. Die „Gescheiterten“ scheitern an allem, was sie anfassen, und die schmerzhaften Verwundungen der „Versehrten“ heilen nie.

Dieser Art sind die Hauptpersonen. Sie reisen durch die Welt auf der Suche nach den verbliebenen Seelensplittern und versuchen dabei unentdeckt zu bleiben und mit ihrem Dasein irgendwie fertig zu werden. Zum Glück verfügen sie über besondere Fähigkeiten, die ihnen helfen. Ihre Gegner sind die Seelenjäger, Bizarromanten und die Wesen, in denen sich ihre Seelensplitter niedergelassen haben. Es gibt außerdem Verzerrungen, die als typische Spuk-Phänomene in Erscheinung treten. Die Bizarromanten sind Erforscher dieser Verzerrungen und die coolsten Gegner für Spielercharaktere, die ich seit langem gesehen habe. Durch ihre Forschungen können sie nicht nur ungewöhnliche Fähigkeiten haben, sondern auch zufällig auf die Seelenlosen stoßen. Vielleicht werden sie zu Van-Helsing-artigen Figuren, die aus Missverständnis heraus Jagd auf die Seelenlosen machen, oder sie gefährden die Charaktere einfach durch die Tatsache, dass sie die falschen Informationen öffentlich machen.

Das Konzept von „Opus Anima“ ist gut durchdacht. Die Spielercharaktere bekommen schon mit dem Einstieg eine Aufgabe, verschiedene Gegner sind integraler Bestandteil des Hintergrundes und Horror ergibt sich nicht nur aus einer verzerrten Umgebung, sondern auch aus den Charakterhintergründen selbst. Man fragt sich dennoch, ob das alles nicht ein wenig zu viel des Guten ist. Wie in Dreiteufelsnamen will man so einen Hintergrund in halbwegs überschaubarer Zeit seinen Spielern erklären? Das Wort „überambitioniert“ drängt sich mir auf (wie auch schon bei der grafischen Gestaltung). Hinzu kommt ein stellenweise grauenhafter Schreibstil. Manchen der verschiedenen Autoren geht regelmäßig die Rhetorik durch; sie widersprechen sich innerhalb eines Absatzes und produzieren Stilblüten in erschreckender Dichte. Das kann einem den Lesespaß schon etwas verderben, so spannend die Beschreibungen eigentlich sind.

Die Regeln befinden sich im letzten Drittel des Buches. Erst dort wird beispielsweise klar, wie das ständige Versagen eines „Gescheiterten“ regeltechnisch gehandhabt wird. Mir war bis dahin völlig unklar, wie man eine Figur verkörpern soll, der nichts gelingt, doch die Regeln sind richtig gut. (Die Figur bekommt Energie, wenn sie Gefahr läuft zu scheitern, sprich, wenn sich der Spieler entscheidet, eine Probe freiwillig zu erschweren.)

Das Spiel arbeitet mit Würfelpools und Erfolgen. Jeder Würfel hat eine Chance von 50%, einen Erfolg zu produzieren, es ist also egal, welche Art von Würfeln man nimmt oder ob man vielleicht sogar Münzen wirft oder Karten zieht. Konform zum Hintergrund einer zerschlagenen Welt werden die Zufallsgeber nicht Würfel sondern „Splitter“ genannt (noch mehr sprachlicher Blödsinn: Im Regelwerk wird von „Splittern“, aber trotzdem vom „Würfelpool“ gesprochen).

Die Regeln sind einfach und übersichtlich. Der Kampf benutzt ein nettes System, in dem eine bestimmte Anzahl an Würfeln gewürfelt und die erhaltenen Erfolge anschließend geheim auf Parade, Attacke und die Initiative verteilt werden. Jeder der drei Werte wird von der Ausrüstung modifiziert.

Fazit: Ich glaube, „Opus Anima“ ist ein Spiel, das Spielleiter gern leiten, Spieler aber nicht so gern spielen wollen. Der Hintergrund ist faszinierend und gäbe eine tolle Kulisse für einen Roman ab, ist aber so ungewöhnlich und komplex, dass er eine hohe Einstiegshürde für neue Spieler bildet.

Trotz der sprachlichen Mängel hatte ich sehr viel Freude an „Opus Anima“. Der vielfältige Hintergrund, das funktionelle Design, die großartige Stimmung und tolle Optik machen es zu einem Schmuckstück in jeder Rollenspielsammlung. Wer sich selbst überzeugen will, kann das Regelwerk hier oder hier als PDF herunterladen.


Opus Anima
Regelwerk von Felix Mertikat und Till Bröstl
Oktober 2008
Verlag: Prometheus Games
Autoren: Andreas Steiner, Tim Struck, Felix Mertikat, Till Bröstl, Maja Karos, Manfred Fischer, Mathias Kwapil, Carsten Gimpel
Illustrator: Felix Mertikat
395 Seiten Hardcover
€ 38,95
ISBN 978-3-941077-08-9
Rezensent: Andreas Melhorn 08.01.2009

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