Rezension: Reiter der Schwarzen Sonne
03 Aug 2013

Der Autor

Wenn ich nicht gerade spiele verunstalte ich Medien. Kommt einem zu Gute bei eigenen Rollenspielen wie Malmsturm oder Projekten wie Ratten!, Savage Worlds Gentlemens Edition, Scion, Sundered Skies und ein paar anderen. An und für sich bin ich der Erzählonkel, daher auch die große liebe zu FATE. Manchmal muss es aber auch ein Burger statt Steak sein und so wird gern und oft auch Savage Worlds oder wenn es klasisch sein soll Pathfinder und Konsorten gespielt. Ich probier gern und oft Systeme aus aber die eigentliche Leidenschaft sind die Hintergrundwelten.

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Titel: Reiter der schwarzen Sonne
Art: Spielbuch
Regeln: Eigene (enthalten)
Sprache: Deutsch
Verlag: Mantikore-Verlag Nicolai Bonczyk
Publikationsjahr: 2012
Autor: Swen Harder
Illustrationen: Fufu Frauenwahl
Umfang: 740S.
Bindung: Softcover
ISBN: 978-3-939212-17-1
Preis: 21,95€
Rezensent: Andreas G.

Mittlerweile ist eine überarbeitete und erweiterte 2. Auflage erschienen, die zudem ein anderes Cover ziert (und eine andere ISBN hat: 978-3939212409). Die Seitenzahl ist um 16 gestiegen, auf 756 und der Preis gesunken, auf 19,95)
Weitere Infos zu allen Änderungen (u.a. ein Epilog und 5 neue Illus) gibts hier:
http://playharder.de/?q=node/69
http://playharder.de/?q=node/70

Reiter der Schwarzen Sonne

Abenteuer-Spielbücher bilden quasi das Profil des Mantikore Verlages. Auch wenn er gelungene Romanausgaben und „Oldschool“-Rollenspielprodukte verlegt nimmt die Begeisterung für Spielbücher einen herausstechenden Platz im Verlagsprogramm ein. Es war daher nur eine Frage der Zeit bis der Verlag mit einer Eigenpublikation in diesem Bereich aufwarten würde. Mit den Reitern der schwarzen Sonne wird dieser Schritt nicht gerade bescheiden gegangen. Das Buch legt einen Umfang von etwa 740 Seiten und weit über 1000 Abschnitten (mit Bonusabschnitten etwa 1350) vor. Damit ist es zumindest vom Umfang her wirklich „das umfangreichste Spielbuch aller Zeiten“ – zumindest wenn man auf Einzelbände blickt und die großen Serien (ebenfalls von Mantikore verlegt) außen vor lässt.
Aber natürlich sagt der reine Umfang noch nichts über die Qualität eines Buches aus und kann eine solche Seitenmasse für ein Spielbuch sogar hinderlich sein, möchte man als Leser doch ungern je Abschnitt hunderte Seiten blättern.
Hier zeigt sich dann auch die erste große Stärke des Buches. In enger Zusammenarbeit mit dem Verlag hat Swen Harder ein Spielbuch erarbeitet dem man die eigene Spielbucherfahrung anmerkt. So ist das Buch beispielsweise in 7 Kapitel und Zusatzbereiche eingeteilt, die optisch am Seitenschnitt erkennbar sind und dafür sorgen das man (fast) nur im eigenen Sektor blättern muss. Dies führt zu einem wirklich guten Spielgefühl, das durch einen sehr gut lesbaren und spielernahen Schreibstil ergänzt wird.
Ebenfalls schön ist, dass es wenige Sackgassen gibt und die Abschnitte durchweg kurz gehalten sind. Nur selten muss man mehr als eine Seite lesen um eine Entscheidung treffen zu dürfen. Zusätzlich wird die Kapiteleinteilung genutzt um das Problem des Sterbens zu mildern. Spielt man streng muss man die teilweise knackigen Abenteuerspielbücher immer wieder von vorne beginnen. Beim Einsamen Wolf müsste man beispielsweise theoretisch mit jedem Tod die ganze Reihe neu beginnen – ob das praktisch je ein Spieler umgesetzt hat wage ich allerdings zu bezweifeln. „Reiter der Schwarzen Sonne“ ist sich diesem Problem bewusst und schlägt offenherzig vor beim Tod lediglich das jeweilige Kapitel neu zu beginnen und unterstützt dies mit „Speicherpunkten“. Zumindest mich hat das durchaus überzeugt „ehrlich“ zu spielen, wenngleich mich vereinzelte „Dein Leben endet hier“-Abschnitte immer noch etwas gestört haben.

Regeln
Blickt man vorne in das Buch wird man von einem dreiseitigen Charakterbogen voller Kästchen und ausfüllbarer Listen nahezu erschlagen. Die Furcht vor zu viel Komplexität ist aber unberechtigt. So führt das Buch die Regeln und Kästchen sukzessive und nachvollziehbar ein. Diese Regelteile die wiederum dank der Markierung am Buchrand schnell wiederfindbar sind und teilweise querverwiesen werden, führen die jeweils relevanten neuen Regeln Kapitelweise ein. Außerdem haben die zahlreichen Kästchen hauptsächlich die Funktion den Verwaltungsaufwand gering zu halten. Wie aus den Legenden von Harkuna bekannt können so beispielsweise einzelne Abschnitte angekreuzt werden um anzuzeigen das man bereits am Abschnitt war. Ausgeweitet wird dies darauf, das auch der eigene Gesundheitszustand, das erlernen von Fertigkeiten etc. oftmals über im direkten Abschnitt ankreuzbare Kästchen vermerkt wird. Ebenfalls praktisch ist, dass der Gesundheitsstand der Gegner ebenso wie verstrichene Kampfrunden in den jeweiligen Sektionen abgestrichen werden kann. Wer sich also nicht davor scheut das Buch zu beschreiben hat hier maximalen Komfort. Wer sich hingegen ziert das Buch anzumalen darf sich auf der Homepage[http://www.playharder.de/] diverse Bögen zum Nachhalten des Spielverlaufs herunterladen. Hier wurde also an alles gedacht!
Ebenfalls komfortabel ist das Würfelsystem. Die ersten 6 Kapitel enthalten in ihrer Fußzeile statt Seitenzahlen drei Würfel und ein Mondsymbol. Durch zufälliges Blättern kann so ein Zufallswert erzielt werden, der bei dem Umfang an Seiten auch wirklich zufällig ist. Auch das Mondsymbol wird sinnvoll genutzt. Das Symbol wird beispielsweise angewendet um reine Zufallsproben atmosphärisch umzusetzen. So kann es eine Rolle spielen ob beispielsweise Halb-, Sichel oder Vollmond erblättert wurde. Die drei Würfelergebnisse wurden außerdem in einen neutralen Basiswürfel und einen Stärke und einen Geschickswürfel unterteilt. Dies ist besonders für Kämpfe wichtig. Hier entscheiden Angriffswert + Stärkewürfel ob ein Treffer gelandet wurde und Geschickwürfel + Verteidigungswürfel ob Schaden genommen wurde. Ein einziges Blättern ergibt also eine volle Kampfrunde, was auch beim Kampf mit mehreren Gegnern bestehen bleibt.
Auch sonst ist viel positives über die Regeln zu sagen. Sie sind allesamt an die Erfordernisse eines Spielbuchs angepasst worden und es ist sichergestellt das sie auch Anwendung finden. Teilweise werden ungewohnte Methoden gewählt, so wird der Trainingserfolg beispielsweise über ein Minispiel bestimmt, bei dem man mit geschlossenen Augen das ‚Herz‘ einer Strohpuppe von einem Eckpunkt aus treffen muss. Wer das mag hat ein wirklich ungewohntes „Trainingserlebnis“, wer so etwas albern findet kann beruhigt sein dass so etwas nur selten vorkommt und bisher noch niemand beim Schummeln erwischt wurde… Achja und wer sich vorm malen scheut bekommt natürlich ein ausdruckbares Dokument auf der Homepage.
Die Regeldimension wird insgesamt gut genutzt und dient immer wieder als Anreiz. Zum ersten können wirklich zahlreiche Gegenstände gefunden werden die auch häufig abgefragt werden. Welche Kleidung der Charakter trägt entscheidet nicht nur über den Rüstungswert, sondern spielt auch eine Rolle dafür ob er beispielsweise als Gefangener wahrgenommen wird oder als Befehlsträger. Ansonsten motiviert das Spiel durch Werteboni die im Spiel verteilt werden oder in Form von besserer Ausrüstung gefunden werden können. Hier spürt man deutlich wie Entscheidungen und Zufälle zu einem ganz eigenen Charakter führen der zwar im groben der Hauptstory folgt, aber ganz eigene Informationen, Gegenstände und Werte hat. Motiviert wird das ganze zusätzlich durch Bonusabschnitte, die im „B“-Kapitel am Ende des Buches nachgeschlagen werden. Diese sind zwar nicht immer schwer zu finden, allein das weite Blättern gibt einem jedoch das Gefühl etwas besonderes gefunden zu haben. Außerdem geben diese Bonussegmente „Schicksalspunkte“ die Proben gelingen lassen und andere Verwendung finden. Eine kurze Info am Ende jedes Kapitels informiert darüber wie viele dieser begehrten Punkte gefunden werden konnten, so das ein erneutes durchspielen am letzten „Speicherpunkt“ motiviert wird. Die Punkte sind außerdem für ein“Scoring“ relevant das man am Ende des Durchspielens errechnen kann.

Entscheidungen
Die bereits angesprochenen Bonussektionen, das scoring und die abwechslungsreichen Gegenstandsfunde motivieren tatsächlich dazu, das Buch oder zumindest einzelne Kapitel neu zu spielen. Der schiere Umfang lässt dabei garnicht den Gedanken aufkommen durch das mitspielen aller Seitenwege den ganzen Band überblicken zu können. Hier kann man sich entspannter als bei vielen anderen Bänden zurücklehnen und gewiss sein eh nicht alles finden zu können. Stattdessen hat man Lust den Band in ein paar Wochen noch einmal aufzuschlagen und andere Wege auszuprobieren. Unterstützt wird der Gedanke durch mehrere mögliche Enden und zahlreiche auch moralische Entscheidungen. Bei vielen Ereignissen hat man zumindest das Gefühl das sie später berücksichtigt werden (wie weit das umgesetzt wurde habe ich allerdings noch nicht nachprüfen können). Zwar wurde auch bei „Reiter der schwarzen Sonne“ etwas getrickst indem storybrechende Entscheidung in Sackgassen führen, das geschieht allerdings recht selten. Stattdessen sind deutlich mehr wirkliche Alternativentscheidungen möglich, wenngleich es großartig gewesen wäre auch die verbleibenden toten Enden einzuflechten oder in spannendere Endsequenzen zu führen – aber das ist ‚meckern‘ auf hohem Niveau.

Inhalt
Nachdem so viel über die Mechanik gesagt wurde, bleibt die Frage offen was der Spieler in dem Buch eigentlich tut, bzw. wo er es tut. Das „wo“ kann dabei am einfachsten geklärt werden. Das Buch spielt auf der etwas düsteren Fantasywelt Pakonia die primär durch Redewendungen und Seitenverweise erschlossen wird. Ein Glossar kann einem hier zusätzliche Hintergrundifnormationen verschaffen, ebenso wie eine ansehnliche Karte die um eine grobe Historie ergänzt wird. Das wir nicht allzu viel über diese Welt wissen, sondern direkt in das Spiel geworfen werden (die Karte finden wir beispielsweise erst im Übergang zum 4. Kapitel) deckt sich auch mit unserem Hauptcharakter der eine Amnesie erlitten hat. Meines Erachtens hätten 1-2 einleitende Seiten über die Welt oder ein Verweis auf das Glossar nicht geschadet, da auch unser Charakter zumindest das gröbste über die Welt kennt, man kommt aber als Fantasybewanderter schnell in diese Welt hinein.
Der Reiz des Buches ergibt sich inhaltlich auf mehreren Ebenen. Zum ersten ist da die Erkundung der Welt die durch die Amnesie des Hauptcharakters glaubwürdig befördert wird. Das Entdecken verschiedener Fantasyrassen, das auffinden mystischer Gegenstände und die Einwürfe fremder Namen und Kontinente lassen die Welt groß und betretbar wirken. Das entdecken nimmt aber ungleich weniger Raum ein als beispielsweise bei den Einsamer Wolf Bänden. Stattdessen liegt der Fokus auf dem Hauptcharakter der erfährt was er war und wie er mit diesem Schicksal und seinen Taten umgeht. die Ich-Perspektive die Rollenspiele und besonders Spielbücher prägt wurde also konsequent genutzt und bildet eine spannende Story mit mehreren möglichen Enden.
Unterstützt werden Flair und Handlung dabei von einheitlichen und stimmungsvollen Tuscheillustrationen. Die sind wohl in kurzer Zeit entstanden, davon merkt man jedoch nichts. Sie weisen alle eine hohe Qualität auf und werden pointiert eingesetzt. Selbst die kleinen Zwischenbilder die das Schriftbild auflockern passen gut zur Stimmung. Gekrönt wird das Buch schließlich von einem aufwendigen zweiseitigen Suchbild. Der Künstler[http://www.fufufrauenwahl.com/] hat ganze Arbeit geleistet und macht das Buch zu einem abgeschlossenen Werk, oder wie man im Wagnerjahr sagen kann: „Gesamtkunstwerk“.

Fazit
Als ich zuerst vom Projekt gehört habe war ich skeptisch. Etwas großspurig waren die Verlautbarungen über die Innovation der Regeln und den extrem großen Umfang des Buches. Das Buch übertrifft aber alles was es vollmundig verspricht. Schön aufgemacht und sehr durchdacht komponiert entfaltet es eine epische Handlung die sich angenehm zwischen einem Oneshot und einer epischen Kampagne bewegt. Die Abschnitte wurden Effektiv, mit viel Wiederspielwert und vielen innovativen Ideen genutzt. „Reiter der schwarzen Sonne“ vereint die Möglichkeiten des Spielbuchgenres so gelungen, dass es auch in der digitalen Zeit seine Rechtfertigung hat. Wer sich irgendwie mit Spielbüchern anfreunden kann sollte bei diesem Buch zugreifen. Die knappen 22€ sind für ein Buch mit diesem Umfang mehr als nur angemessen und der Band holt sehr viel aus seinen Seiten raus. Es ist ein einmaliges, aber wiederspielbares Erlebnis das ich im direkten Vergleich sogar den großen Spielbuchreihen gegenüber bevorzugen würde. Natürlich kann nichts so schnell die Freiheit der Spielwelt von Harkuna oder die epische Kampagne der Einsame-Wolf Reihe ersetzen, aber das Format von Harders Buch ist – zumindest meines Erachtens – dem Spielbuchgenre angemessener. Während ich bei den Legenden von Harkunah manchmal den Faden verliere und merke das sich der Verwaltungsaufwand einer freien Welt mit einem PC oder Smartphone weitaus besser lösen lassen würde und ich beim einsamen Wolf sehr viele Bände in die Hand nehmen muss um die epische Story erfahrbar zu machen, vereint das vorliegende Buch eine spannende Story und einen hohen Wiederspielwert in nur einem Band. Kurz gesagt: This is gamebook!

3 Comments
3 Kommentare
  1. Herzlichen dank für diese außergewöhnlich ausführliche Rezension! Nur Kyrna faucht ein wenig traurig, dass sie mit keinem Wort erwähnt wurde 😉

  2. Vielen Dank für das Feedback auch von meienr Seite. 🙂
    Während viele Rezis etwas knapp sind, ist man ja als Rezensent auch nie ganz sicher wie weit solche überhaupt gelesen werden. Deswegen finde ich es auch schön das du sie auf der Homepage verewigst

    Kyra wird sicher erwähnt wenn ich (bald) meine Finger an die 2. Auflage kriege 🙂

  3. Übrigens… mittlerweile gibt es bereits die 3. Auflage. 🙂

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